Mit der neuen Osterkerze auf Karfreitag und Ostern schauen

 

Giselheid  Bahrenberg, Pfarrerin i.R., hat auch in diesem Jahr wieder die Osterkerze für das Heliand-Zentrum gestaltet. Für dieses Jahr hat sie ihr Motiv sehr aktuell gewählt und spricht damit genau in diese so besondere Zeit hinein.Anhand ihres Entwurfes deutet sie Karfreitag und Ostern:

„Wir sehen hier die neue Osterkerze, die ab Ostersonntag im Heliand-Zentrum In Essen-Freisenbruch neben dem Altar stehen wird und uns bis in das nächste Jahr hinein begleiten wird. Wir betrachten sie näher. Ich habe sie mit farbigem Wachs gestaltet und dabei auszudrücken versucht, worauf ich in dieser besonderen, durch das Corona-Virus geprägten Zeit innerlich traue und baue. Diese Zeit ist eine große Herausforderung für uns alle, in vielfacher Hinsicht.  Worauf vertrauen wir jetzt? Was trägt uns? Was schenkt uns Kraft, Durchhaltevermögen, Hoffnung?

Wir sehen ein großflächiges Kreuz und in der Mitte im Schnittpunkt der Kreuzesbalken unsere Erde, unseren blauen Planeten, der auf Fotos von Astronauten in bezaubernder Schönheit leuchtet. Doch diese unsere Erde leidet, schon lange, und mit ihr ihre Bewohner, wir Menschen und alle unsere Mitgeschöpfe. Darum hängt sie am Kreuz. Die Stichworte, die einige der großen Nöte und Verletzungen rund um die Erdkugel benennen, kennen wir alle: Sie umgeben unsere Erde wie ein Kranz aus Leid, Sorge und Elend, aber auch aus Machtgier und Egozentrik: Krieg, Flucht, Klima, Hunger, Corona. Wir könnten noch vieles hinzufügen.

Unsere Erde am Kreuz, mit allem, was auf ihr lebt: Das ist Karfreitag. Wir wissen, wir haben sie selbst dorthin gebracht, so wie Menschen damals Jesus ans Kreuz gebracht haben. Wir haben unsere Erde ans Kreuz gebracht und uns mit ihr. Ich möchte dazu einladen, dieses Bild zu meditieren, in unser Inneres zu lassen, auszuhalten…..

Wenn wir das tun, wird es ganz allmählich auch zum Hoffnungsbild. So ist es mir beim Gestalten der Kerze selbst gegangen. Das Kreuz ist damals ein Werkzeug für Folter, Gewalt und Hinrichtung gewesen, für ein qualvolles Sterben. Aber es ist für die Christenheit zum Symbol des Lebens geworden. Warum? Weil Karfreitag und Ostern auf’s engste zusammengehören, ja weil beide im Grunde zwei Seiten desselben Geschehens sind.

Das ist für uns rational nicht einfach nachvollziehbar. Unser Ich, unserVerstand denkt in Gegensätzen: gut – böse, hoch – tief; reich – arm, krank – gesund usw. Und einer der größten Gegensätze sind Leben und Tod. Sie schließen sich gegenseitig aus, so meinen wir. Aber Jesus gibt uns z.B. den Impuls: „Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird, der wird es gewinnen.“ (Lk 17,33) Was ist das? Es klingt paradox. Wir halten inne, schauen genauer hin. Es geht um ein Mehr an Leben, aber nicht durch Haben und Anhäufen, wie wir es kennen, sondern durch Loslassen…  Loslassen, um mehr zu sein… Wir ahnen, dass hier eine ganz andere, tiefere Ebene in uns angesprochen ist, die Ebene des Reiches Gottes, würde Jesus sagen, die keinen Tod kennt und jetzt von uns gelebt werden möchte. Eine ganz andere Logik taucht da auf, die unsere dualistische Denkweise in Frage stellt. Solche Impulse zum Innehalten gibt Jesus immer wieder und will uns damit den Zugang zur Gotteswirklichkeit öffnen, die unsere Ich- und Denkstrukturen sprengt.

Karfreitag und Ostern gehören zusammen – dazu noch eine wichtige Vorbemerkung: Wir sind es gewohnt, in den Kategorien von Raum und Zeit zu denken, so auch im Blick auf Karfreitag und  Ostern. Aber hier geht es nicht um ein historisches Ereignis, das im Geschichtsbuch stehen könnte. Was ist wirklich? Wirklichkeit hat ganz andere, weitere Dimensionen und ist nicht einfach das, was unser Verstand und unsere Sinne mit ihrer begrenzten Wahrnehmung erkennen können. Gewiss, die Hinrichtung Jesu war ein Ereignis, das auch mit modernen historischen Mitteln recherchiert werden kann. Aber erst von Ostern her erschließen sich die eigentlichen Dimensionen dieses Geschehens.

Und Ostern ist kein Ereignis, das in den Kategorien von Raum und Zeit einzuordnen ist. Die Ostergeschichte erzählen in der Weise der alten Bilder und Mythen von der Gotteswirklichkeit, die in allem irdischen Geschehen verborgen ist. Darum treten in ihnen Engel auf, Gottesboten, die von etwas künden, was wir uns nicht selbst sagen können, nämlich, dass Jesus auferstanden ist, d.h. jetzt in einer anderen Seinsweise da ist, weil das Leben aus Gott nicht sterben kann.  Der Tod ist damit nicht der große Feind am Ende unseres Lebens, wie unsere irdische Sichtweise es nahelegt, der Feind, der das Leben bedroht und darum besiegt werden muss. Sondern der Tod ist der Durchgang zu einer neuen Existenzweise; der Verwandlungsprozess in eine neue Form des Lebens hinein. Jesus ist auferstanden – das ist die Gotteswirklichkeit, die an Karfreitag und Ostern aufleuchtet und die uns alle mit einschließt.

Karfreitag und Ostern, Kreuz und Auferstehung gehören zusammen. Auch das Leiden und Sterben Jesu und sein ganzes Leben davor fanden nicht außerhalb der Gotteswirklichkeit statt. Nichts geschieht außerhalb von Gott, auch unser Leben nicht und alles Leben auf unserem Planeten und im ganzen Universum nicht.  So sind auch die Leidensgeschichte Jesu und die Erzählungen von der Kreuzigung nicht einfach historische Berichte, sondern viel, viel mehr: Durch das Erzählte leuchtet auch hier immer wieder etwas von der hintergründigen Gotteswirklichkeit auf.

„Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk 24,26) Dieser Gedanke wird mehrfach formuliert – der Hinweis auf eine ganz andere Ebene, die sich in allem vollzieht.

Jesu Weg in den Tod ist die Konsequenz seines Lebens. Er hat das „Reich Gottes“ angesagt, die Gotteswirklichkeit, die spürbare Gegenwart wird, wo Menschen ihre Ichbezogenheit und Icheingrenzung überwinden und die Erfahrung der Einheit mit Gott machen. Wo sie lernen und üben, aus Gott zu leben und zu schöpfen, der Quelle des Lebens. Jesu Hingabe an die Menschen, sein Eintreten für die Kleinen, Schwachen, Kranken und Ausgestoßenen zeigt den Maßstab der Liebe, der aus dieser Gottesquelle quillt. Das einsame betende Ringen in Gethsemane um seinen Weg endet damit, dass Jesus seine Angst um sich selbst loslässt und sich Gott in die Arme wirft, mit Gottes Willen eins wird: „Nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“(26,39)  Und so kommt auch hier ein Engel und stärkt ihn. (Lk 22,43) Jesus weigert sich, mit Gewalt auf Gewalt zu reagieren; er wehrt sich nicht und verteidigt sich nicht, als er im Prozess angeklagt wird – alles Leuchtspuren, dass hier einer sein Ego losgelassen hat und ganz aus Gott schöpft, bis zuletzt. Als er am Kreuz hängt, schreit er voller Verzweiflung: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34) und betet zugleich für die, die ihn quälen und töten: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23, 34). Und zu dem Schächer am Kreuz sagt er: „Wahrlich, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“(Lk 23, 43)

Jesus hat bis zum Ende das gelebt, was er in der Bergpredigt gesagt hat: „Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“ (Mt 5,44) Liebet eure Feinde, das ist keine bloße Aufforderung oder Mahnung; sondern das ist die Energie der Vergebung und Versöhnung, die Energie der Liebe, der Heilung und des Friedens, die aus der göttlichen Quelle strömt, wenn wir uns dafür öffnen. Wenn wir wissen, dass Gott in allen Menschen, in allen Geschöpfen wohnt, dann kann es keine Feinde geben. Dann sind wir alle eins.

Auch die Geschichte des Karfreitag, die Geschichte von Jesu Leiden und Sterben ist also voller leuchtender Gottesspuren und mündet in die Erfahrung von Auferstehung, in der das Licht Gottes hell  aufstrahlt und alles in seinen Glanz taucht. Kreuz und Auferstehung, das Herzstück des christlichen Glaubens – Einladung und Inspiration für uns alle, uns wie Jesus mitten in unserer Welt für die Gotteskraft und die Gott-Liebe zu öffnen, unsere Ichbezogenheit zu lassen und so die Welt mitzugestalten.

Und damit sind wir wieder bei unserer Osterkerze, bei der Gestaltung der vier Kreuzesbalken: Dieses Kreuz ist kein Instrument der Hinrichtung mehr. Es glänzt golden, in der Farbe des Himmels, des Göttlichen, auf dem Grund von rot, der Farbe von Energie und Liebe. Es ist zum Symbol all dessen geworden, was Jesus gelebt hat und was er uns im Blick auf die Gotteswirklichkeit erschlossen hat. Es ist ein gleichschenkliges Kreuz – es verbindet die Vertikale und die Horizontale, es verbindet Himmel und Erde – nichts ist außerhalb von Gott!

Der vertikale Balken trägt oben das Wort LIEBE und unten das Wort LICHT; der horizontale Balken ist auf der linken Seite Träger von HEILUNG und auf der rechten Seite von FRIEDEN. Diese Energie von Liebe, Licht, Heilung und Frieden können auch wir Tag für Tag aus der Gottesquelle schöpfen. Sie kann uns helfen, bewusster dazusein. Wir können sie ausstrahlen in unseren Alltag hinein und damit das Leben auf unserer Erde beeinflussen, mitgestalten und zur Heilung der großen Nöte und Probleme auf unserer Erde beitragen. Jeder bewusste Atemzug, jeder wohlwollende, friedvolle  Gedanke, jedes liebevolle Lächeln, jedes lichtvolle Gebet, jede Geste von Zuwendung und Mitgefühl, jedes versöhnende Tun wirken weiter und haben heilende Folgen für unsere Erde.

Giselheid Bahrenberg