Grußwort zu Ostern

Markusevangelium, Kapitel 16, Verse 1-8:

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

Frohe Ostern, liebe Gemeinde!

Anders als in all den früheren Jahren kommt mir dieser Ostergruß in diesem Jahr erst einmal nicht leicht über die Lippen! Und ich frage mich: Sollte ich Ihnen nicht vielleicht doch eher ´fröhliche Ostern´ wünschen? Aber könnte das nicht andererseits vielleicht als unpassend, wenn nicht sogar als sarkastisch wahrgenommen werden? Denn wer ist in diesen Tagen und Monaten bei uns oder irgendwo auf dieser Welt wirklich fröhlich? Die Covid-19-Pandemie mit ihren verheerenden Auswirkungen hält die Welt in Atem: eine immer weiter zunehmende Ansteckungswelle, der eine nur unzureichende Menge an Beatmungsgeräten für die Intensivversorgung der schwer Erkrankten gegenübersteht, eine enorme Zahl an Todesopfern Tag für Tag, starke Überlastung bei den Einen in sog. systemrelevanten Berufen und Unterforderung bei den Anderen, große Existenznöte bei vielen Menschen, immer knapper werdende Schutzausrüstungen für das Medizinpersonal und die Bevölkerung und stummes Leid bei unseren schutzbefohlenen Mitgeschöpfen infolge unzureichender Versorgung durch uns Menschen. Und dann sind da noch die immer heftiger werdenden Ausgangsbeschränkungen für uns alle. Diese führen bei vielen Menschen, besonders bei Menschen in den Krankenhäusern, bei Bewohnerinnen und Bewohnern in den Altenheimen und Pflegeheimen, in den Einrichtungen für Menschen mit einer Behinderung und bei alleinlebenden Menschen aufgrund des Besuchsverbotes zu Einsamkeit und Traurigkeit. Und noch ist kein Impfstoff gefunden.

Und viele von uns verspüren eine tiefe Sehnsucht danach, dass wir endlich wieder unsere Beziehungen leben können: gemeinsam fröhliche Gottesdienste feiern, in Familie und Gemeinde miteinander leben und arbeiten, unbeschwerte Zeit gemeinsam erleben und einander unsere Zuneigung durch körperliche Nähe, einen wohlwollenden Blick in die Augen sowie liebevolle Berührungen und Umarmungen zeigen!

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat einmal gesagt: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Und das ist wohl wahr. Wir sind von Gott als Beziehungswesen geschaffen. Uns gibt es immer nur in Gemeinschaft mit unseren Mitmenschen und Mitgeschöpfen und vor allem in Gemeinschaft mit Gott. Doch momentan sind unsere Beziehungen zueinander erheblich erschwert. Viele leiden an den Fernbeziehungen und in manchen Familien, wo die Familienmitglieder nun den ganzen Tag beengt beieinander sein müssen, herrschen mitunter Streit und Gewalt. Und bezogen auf alle unsere Verstorbenen müssen wir uns sogar bitter eingestehen: Der Tod reißt Menschen auseinander. Er schneidet Beziehungen entzwei wie eine Schere den Faden abschneidet; er macht sie zunichte, endgültig. Ausgerechnet bei der Hoch-Zeit zweier einander liebenden Menschen kommt das klar und deutlich zum Ausdruck: In einer traditionellen Trauformel werden die Brautleute danach gefragt, ob sie versprechen, einander zu lieben und die Treue zu halten „bis dass der Tod euch scheidet“. Der Tod ist also die Grenze des Ehebundes und damit die Grenze der tiefen Beziehung, die zwei Menschen zueinander eingehen. Daran ist nichts zu rütteln. Wer am Grab eines lieben Angehörigen Zwiesprache mit diesem hält, und ich gestehe, das auch ich das am Grab meiner Mutter tue, der oder die wird schmerzhaft erleben, dass da keine Antwort kommt. Ja, Erinnerungen mögen erwachen an das, was der verstorbene Mensch zu seinen Lebzeiten gesagt oder getan hat, und es mag uns warm ums Herz werden, wenn wir uns an seine Liebe und Fürsorge erinnern. Aber wenn Beziehung immer mehrere Menschen, die aufeinander bezogen sind, braucht, wenn wir das „Du zum Ich“ dazu brauchen, dann sind unsere Beziehungen zueinander mit dem Tod zu Ende. Was bleibt, ist im schönsten Fall die Liebe der noch Lebenden zu den nun Verstorbenen und die Gewissheit, dass wir von ihnen einst zu deren Lebzeiten geliebt worden sind. Aber, und das wiederhole ich nicht gern: Mit dem Tod gehen diese Beziehungen nicht einfach weiter, anders eben. Vielmehr reißt der Tod Menschen auseinander. Diese bittere Erfahrung teilen wir mit unseren Mitgeschöpfen. Vor einiger Zeit ging ein Photo einer Gorilla-Mutter, die um ihr totes Baby trauerte, durch die Medien. Ihre Trauer um ihr Kind war herzzerreißend. Haben Sie das Photo vielleicht auch gesehen, liebe Gemeinde? Ich glaube, das ist auf Erden eine der bittersten Erfahrungen, die wir machen müssen: Der Tod zerstört Beziehungen. Und wir sind völlig ohnmächtig dagegen.

Liebe Gemeinde, diese Erfahrung machen wohl alle Menschen in ihrem Leben. Auch die beiden Frauen in unserer Ostererzählung aus dem Markusevangelium, Maria und Maria Magdalena, die zur Grabeshöhle kommen, um dem ermordeten Jesus einen letzten Dienst der Nächstenliebe zu erweisen und ihn für seine Grabesruhe zu salben, machen augenscheinlich keinen Versuch, sich gegen den Tod aufzulehnen. Sie gehen selbstverständlich davon aus, dass sie den toten Jesus dort vorfinden und dass der riesige Stein, der die Endgültigkeit des Todes geradezu unmissverständlich sichtbar macht, auch weiterhin den Zugang zur Grabeshöhle versperrt. Als sie bei ihrer Ankunft dann den Stein weggerollt und in der Höhle anstatt des Leichnams Jesu einen lebendigen, engelhaft aussehenden Jüngling vorfinden, packt sie nicht die Freude sondern blankes Entsetzen. Weder sein beruhigender Aufruf, sie mögen sich nicht entsetzen, noch seine doch eigentlich frohe Kunde, Jesus sei auferstanden und ihnen nach Galiläa vorausgegangen und sie werden ihn dort wiedersehen, ändert irgendetwas an ihrem gefühlsmäßigen Befinden. Denn die Endgültigkeit des Todes steht für die beiden Frauen außer Frage. Und so wundert es nicht, dass sie zitternd und entsetzt vom Grab fliehen und das Erlebte samt der eigentlich doch froh machenden Nachricht des Gottesboten in der Grabeshöhle für sich behalten. Aber wir wissen aus der Bibel, wie es dann weitergegangen ist: Der Auferweckte selbst erscheint Maria Magdalena und danach noch verschiedenen weiteren Menschen. Und diese kommen dann doch noch zum Glauben und verkünden, wie Jesus es ihnen aufgetragen hat, die Frohe Botschaft all jenen Menschen, die um ihn trauern. Trotzdem bahnt sich die Osterbotschaft zunächst nur zögernd den Weg zu den Menschen. Denn zu fest ist die Gewissheit in den Herzen und Köpfen der Menschen verankert, dass der Tod unumstößlich und endgültig sei und dass er die Lebenden und die Verstorbenen für immer voneinander scheide. Und so braucht es die leibhaftige Begegnung mit dem auferweckten Jesus Christus, damit sie erkennen, was Gott Unfassbares an ihm und durch ihn für uns Menschen und für alle Erdenwesen getan hat. Aber dann sind sie doch freudig losgelaufen und haben die Frohe Botschaft weitergegeben. Und viele Menschen, die zum Glauben gekommen sind, verkünden sie weiter von Generation zu Generation, bis heute. Und so feiern wir heute im Jahr 2020 mit allen Christinnen und Christen auf der Erde diese einzigartige Frohe Botschaft:

Gottes Liebe und Treue zu uns sind unverbrüchlich. Er nimmt nicht hin, dass der Tod uns vernichtet, dass er Beziehungen abbricht, Gemeinschaft zerstört. Deshalb hat Jesus zugelassen, dass Menschen ihn ermorden. Deshalb hat er den Tod auf sich genommen. Deshalb hat Gott ihn von den Toten auferweckt und dem Tod so das Leben entrissen, endgültig. Und weil Gott für uns und für alle seine Geschöpfe das Leben will, nicht den Tod, dürfen wir in Jesus Christus Anteil haben an dem ewigen Leben.

Liebe Gemeinde, heute feiern wir dieses österliche Geheimnis, inmitten einer ganz schwierigen Zeit, in der Verzicht auf körperlichen Kontakt lebensrettend sein kann und in der tagtäglich überall auf der Welt viele Menschen, oft auch sehr einsam, sterben. Aber die Osterbotschaft kann uns ermutigen und darin bestärken, auszuhalten, was nicht zu ändern ist, durchzuhalten, weiterzumachen und uns mit Kraft, Vernunft und Kreativität gegen alles zu stellen, was Beziehungen zunichte macht, was Gemeinschaft unterbindet, was Leben zerstört. Denn wir dürfen vertrauensvoll daran festhalten: Was immer uns auf Erden widerfährt, Gott hält an uns fest. Und selbst wenn wir sterben: Gott hält an seiner Beziehung mit uns fest. Der Tod ist nicht mehr die Endstation für unsere Beziehungen mit Gott und untereinander. Wir werden leben – mit Jesus Christus in Gottes Reich des Friedens – für immer. Und das kann uns doch von ganzem Herzen froh machen!

Geben wir also diese wirklich Frohe Botschaft weiter, indem wir Hoffnungslieder singen, das Leben tanzen, mit viel Liebe und Kreativität unsere Kontakte aufrechterhalten und unsere Beziehungen pflegen und so einander die österliche Botschaft weitergeben.

Ihnen und Ihren Lieben wünsche ich Frohe Ostern!

Herzlichst, Ihre

Pfarrerin Cornelia Jager

(Herzliche Ostergrüße auch von Pfarrerin Friederike Wilberg und Pfarrer Olaf Zechlin!)