Nach 8 Wochen im Corona-Modus macht sich bei manchen Menschen inzwischen Unmut breit. Demonstrationen werden auch in Essen an diesem Wochenende abgehalten mit der Forderung nach weiterer Öffnung und Rückkehr in die Normalität. Und dann geistern da Verschwörungstheorien herum, die Corona als Strafe Gottes verstehen. Wieder andere kritisieren, dass u.a. die Religionsfreiheit eingeschränkt sei, weil wir keine Präsenzgottesdienste abhalten können. Dazu hat sich unser Präses, Manfred Rekowski, eindeutig geäußert: „Die Religionsfreiheit ist nie angetastet worden. Niemand wird daran gehindert zu beten, die Bibel zu lesen, die Glocken dürfen öffentlich geläutet werden, keine Predigt wird zensiert. Die Grundrechte waren nie gefährdet.“ Ich bin froh über diese deutlichen Worte und finde an dieser Debatte die Frage spannend, was wir eigentlich unter Religion verstehen? Ist das vor allem die Möglichkeit, in die Kirche zu gehen und an einem Gottesdienst teilzunehmen? Oder ist es nicht eher etwas, was meinen Alltag durchdringt? Eine Haltung, ein Vertrauen, ein Fundament in meinem Leben, das mich trägt und mich nährt, in guten und in schweren Zeiten. Und zu dem ich auf ganz vielfältige Weise Kontakt aufnehmen kann. Durch den erzwungenen Wegfall der Gottesdienste wird uns in diesen Wochen vielleicht nochmal viel deutlicher, dass der Glaube zunächst einmal ein persönlicher innerer Weg ist, der von jeder/m einzelnen gelebt und genährt werden will, im persönlichen Gebet, in der Stille, durch Musik vielleicht oder einen Gang durch die Natur, durch die Bibel natürlich und andere Texte, durch Gespräche mit anderen Menschen. Und natürlich auch durch das Feiern der Gottesdienste. Aber in diesen Zeiten, in denen Präsenzgottesdienste nicht möglich sind, da bleiben uns doch ganz viele andere Möglichkeiten, unseren Glauben zu leben und zu nähren. Und vielleicht ist es ja eine Chance, ganz bewusst nach neuen Wegen zu suchen, um unserem Glauben Ausdruck zu verleihen. Um zu entdecken, was Jesus meint, wenn er sagt: „Betet ohne Unterlass!“ Wenn er uns das Gebet als eine Lebenshaltung anbietet, in der wir uns verankern sollen. Heute ist der Sonntag „Rogate“, das heißt „Betet“. Ich höre diese Aufforderung in dieser besonderen Zeit nochmal eindringlicher: lebt in diesen Wochen in dieser Haltung des fortwährenden Gebets, verbindet euch im Gebet mit dem göttlichen Grund, aus dem ihr lebt, verbindet euch aber auch untereinander, mit denen, die ihr jetzt nicht treffen könnt, und auch mit den Erkrankten, den Helfenden, den Menschen rund um den Erdball, die noch in ganz anderer Weise diesem Virus ausgeliefert sind. Spannt ein Gebetsnetz rund um die Welt! Die Kirchenglocken sind mir in diesen Wochen dabei eine große Hilfe. Nach guter alter Tradition rufen sie uns zum kurzen Innehalten, mitten in dem, was wir gerade tun. Vielleicht entdecken wir sie nochmal neu! Friederike Wilberg, Pfarrerin